Positionspapier vom 10.09.2021

HochschuleJetzt! ist eine Initiative von Studierenden aus den Bereichen Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie.

HochschueJetzt! hat sich gebildet, um in der seit langem unveränderten politischen Situation den Studierenden eine Stimme im Prozess der Akademisierung und Professionalisierung zu geben.

HochschuleJetzt! setzt sich für eine Primärqualifizierung und Vollakademisierung von Therapeut:innen in Deutschland ein.

Unsere Initiative zeichnet sich durch einen hohen Grad an Heterogenität aus, welcher sich vor allem durch die verschiedenen Bildungswege innerhalb der einzelnen Berufsgruppen zeigt. Wir spiegeln damit wider, was Realität in der deutschen Bildungslandschaft der Therapieberufe ist. Die Folge ist kein einheitlicher Qualitätsstandard in der therapeutischen Arbeit nach der Ausbildung.

Wir sind frustriert. Das SGB V fordert: “Die Leistungserbringer sind zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der von ihnen erbrachten Leistungen verpflichtet. Die Leistungen müssen vom jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechend und in der fachlich gebotenen Qualität erbracht werden.” (SGV V §135a (1)). Davon ist die Realität weit entfernt: Weder gibt es eine entsprechend qualifizierende Ausbildung, die Absolvent:innen mit den erforderlichen Kompetenzen in die Arbeitswelt entlässt, noch Rahmenbedingungen, die das Erbringen der therapeutischen Arbeit in qualitativ hochwertiger Form möglich machen. Das hat zur Folge, dass viele Therapeut:innen den Beruf verlassen und sich neu orientieren. Um die Rahmenbedingungen, die im SGB V gefordert werden, erfüllen zu können, müssen alle Therapeut:innen wissenschaftlich fundiert arbeiten. Diese Fähigkeit kann nur an Hochschulen entwickelt werden. Deshalb sind wir derzeit nur dann in der Lage Patient:innen adäquat und den gesetzlichen Vorgaben entsprechend zu therapieren, wenn wir unser eigenes Handeln nach der Ausbildung aus eigener Initiative wissenschaftlich fundieren.

Nahezu alle europäischen Länder ermöglichen grenzüberschreitende Mobilität bereits durch eine Vollakademisierung der Therapieberufe und geben ihren Bürger:innen damit die Chance auf einen intensiveren interkulturellen Austausch. Das deutsche Ausbildungssystem steht dieser Idee der EU im Weg. Eine Akademisierung der Therapieberufe in Deutschland würde die bestehende Situation verändern. Ein Studium mit dem Bachelorabschluss ist auf Niveaustufe 6 des Europäischen Qualifikationsrahmens angesiedelt, während der Abschluss an einer deutschen Berufsfachschule nur der Niveaustufe 4 zugeordnet ist, wodurch ein Unterschied zwischen den in Europa ausgebildeten Therapeut:innen manifestiert wird. Eine solche strukturelle Benachteiligung ist nicht hinzunehmen und steht der Attraktivität des Berufes im Wege.

Diese Attraktivität geht nicht nur durch die Kluft im europäischen Vergleich verloren. Bei Verbleib im Beruf ist festzustellen, dass die intra- und interprofessionelle Kommunikation aufgrund unterschiedlicher Qualifikation im Sinne der zu Beginn genannten heterogenen Bildungsqualität nicht gelingt. Eine Vollakademisierung könnte diesbezüglich zu verbesserter interprofessioneller Zusammenarbeit führen. Bessere interprofessionelle Zusammenarbeit setzt eine Bewegung über effektivere und effizientere Patient:innen-Versorgung bis hin zu mehr gesellschaftlicher Wertschätzung und Attraktivität der Therapieberufe in Gang.

Ein wichtiger professionstheoretischer Aspekt, der zu effektiverem und effizienteren Arbeiten führt, ist das sogenannte professionelle Handeln. Dies erfordert die Kombination von Praxis und Wissenschaft im beruflichen Handeln und ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur eigenständigen Profession. Es muss dialektisch unter Berücksichtigung der Entscheidungsnotwendigkeit der Praxis und dem wissenschaftlichen Begründungswissen gearbeitet werden können. Diese Arbeit fördert berufliches Selbstverständnis und schärft therapeutische Gegenstandsbereiche, wodurch die Professionalisierung ebenfalls gefördert wird. Um diese Dialektik im Berufsalltag leben zu können, sind sowohl die theoretischen Anteile, aber vor allem auch die hohen praktischen Anteile der Ausbildung notwendig.

Jede therapeutische Situation bringt hohe Komplexität, erfordert kontinuierliches Evaluieren des Therapieprozesses und birgt somit viel therapeutischen Potential. Jede:r Therapeut:in muss dazu qualifiziert sein, dieses Potential in jeder individuellen Situation zu nutzen, um eine optimale Versorgung von Patient:innen zu gewährleisten. Jede:r Therapeut:in muss dabei in der Lage sein, angemessen innerhalb der berufsspezifischen und der gesundheitsfachberuflichen Community zu kommunizieren.

Im Namen von Studierenden der

FH Bielefeld, FH Münster, DSHS Köln, HS Gesundheit Bochum, EUFH Brühl, IU Bad Honnef, HAWK Hildesheim, THIM van Laan, Hochschule Furtwangen, Hochschule Osnabrück, B-TU Cottbus-Senftenberg, SRH Hochschule Karlsruhe, Universität Lübeck, KatHo Mainz, Hochschule Reutlingen, Universität Bielefeld, Hochschule Niederrhein, Zuyd Hogeschool Heerlen, SRH Hochschule Heidelberg, OTH Regensburg, TH Rosenheim, FAU Erlangen-Nürnberg